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Wir machen uns ein Bild vom Universum. Nur die Unreifen glauben, der Kosmos sei wirklich so, wie er ihnen erscheint.
Sigan Visee, Leitender Ausbilder,
Navigatorenschule der Gilde
D'murr, sagte eine Stimme im Hintergrund seines Bewusstseins. D'murr ...
In der versiegelten Navigationskammer seines Heighliners schwamm D'murr im Gewürzgas und paddelte mit den flossenartigen Füßen. Orangefarbene Schleier umhüllten ihn. In seiner Navigationstrance waren die Sterne mit ihren Planetensystemen ein großer Bilderteppich, und er konnte nach Belieben an jedem Faden entlangreisen. Es bereitete ihm ein überwältigendes Vergnügen, in den Mutterleib des Universums einzutauchen und seine Geheimnisse zu ergründen.
Es war so friedlich im weiten, freien Weltraum. Sonnen wurden heller und verblassten wieder ... eine unermessliche, ewige Nacht, die von winzigen Lichtpunkten durchsetzt war.
D'murr führte die mehrdimensionalen Berechnungen aus, die nötig waren, um einen sicheren Kurs durch die Sternenkonstellationen zu erkennen. Er führte das große Schiff durch die grenzenlose Leere. Sein Geist erfasste die fernsten Regionen des Universums, und er konnte Passagiere und Fracht an jeden gewünschten Ort befördern. Er sah in die Zukunft und passte sich ihr an.
Wegen seiner außergewöhnlichen Fähigkeiten gehörte D'murr zu den wenigen mutierten Menschen, die die Karriere eines Navigators sehr schnell durchlaufen hatten. Menschen. Dieses Wort war nur noch eine vage Erinnerung für ihn.
Seine Gefühle – ein fremdartiges Überbleibsel seiner früheren körperlichen Erscheinungsform – hatten ihn in eine völlig unerwartete Richtung getrieben. In den siebzehn Standardjahren, die er gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder C'tair auf Ix aufgewachsen war, hatte er nie die Zeit, die Weisheit oder den Wunsch gehabt, zu verstehen, was es wirklich bedeutete, Mensch zu sein.
Und in den vergangenen zwölf Jahren hatte er sich – angeblich in freier Entscheidung – weit von dieser zweifelhaften Realität entfernt und eine andersartige Existenzform angenommen, die traumhaft und alptraumhaft zugleich war. Zweifellos würden viele Menschen vor seiner veränderten Gestalt erschrecken, wenn sie nicht auf seinen Anblick vorbereitet waren.
Doch dieser Umstand wurde durch die Vorteile, die Gründe, aus denen er sich überhaupt für eine Karriere in der Gilde entschieden hatte, mehr als nur aufgewogen. Er erlebte die Schönheit des Kosmos auf eine Weise, die anderen Lebensformen versagt blieb. Er sah und wusste, was sie sich bestenfalls vorstellen konnten.
Warum hatte die Raumgilde ihn überhaupt akzeptiert? Sie nahm nur sehr wenige Kandidaten von außen auf, da sie lieber auf eigenes Personal zurückgriff. Die meisten Kandidaten waren im Weltraum geboren, von Angestellten und Mitarbeitern der Gilde. Viele von ihnen hatten sich niemals auf der Oberfläche eines Planeten aufgehalten.
Bin ich nur ein Experiment, eine Missgeburt unter Missgeburten? Wenn D'murr auf einer großen Reise viel Gelegenheit zum Nachdenken hatte, schweifte sein Geist häufig ab. Werde ich in diesem Augenblick überwacht? Werden auch meine abwegigen Gedanken irgendwo aufgezeichnet? Immer wenn ihn das Bewusstsein seiner ungestümen früheren menschlichen Existenz überkam, fühlte sich D'murr, als würde er an einem tiefen Abgrund stehen und überlegen, ob er springen sollte. Die Gilde sieht alles.
Während er in der Navigationskammer schwebte, unternahm er eine Reise durch die Überreste seiner Emotionen. Er empfand das ungewöhnliche Gefühl einer intensiven Melancholie. Er hatte so viel geopfert, um zu dem zu werden, was er nun war. Er konnte sich nie mehr auf einer Planetenoberfläche bewegen, höchstens in einem isolierten, mit Gewürzgas gefüllten Tank ...
Er konzentrierte sich, zwang seine Gedanken zur Ordnung. Wenn er zuließ, dass seine menschliche Persönlichkeit zu stark wurde, konnte es geschehen, dass der Heighliner vom Kurs abkam.
»D'murr«, sagte die Stimme wieder, hartnäckig wie das Pochen eines einsetzenden Kopfschmerzes. »D'murr ...«
Er ignorierte sie. Er versuchte sich einzureden, dass solche Gedanken für einen Navigator völlig normal sein mussten, dass andere sie ebenso häufig wie er erlebten. Aber warum hatten die Ausbilder ihn nicht davor gewarnt?
Ich bin stark. Ich kann diese Anfälle überwinden.
Auf einem Routineflug nach Wallach IX, der Welt der Bene Gesserit, navigierte er einen der letzten Heighliner, der von den Ixianern gebaut worden war, bevor die Tleilaxu die Produktion übernommen hatten und zu einer früheren, weniger effizienten Konstruktion zurückgekehrt waren. Er ging mental die Passagierliste durch und sah die Worte, als wären sie an die Wand seines Navigationstanks gedruckt.
Ein Herzog war an Bord – Leto Atreides. Und sein Freund Rhombur Vernius, der verbannte Erbe des verlorenen Adelshauses von Ix. Vertraute Gesichter und Erinnerungen ...
In seinem früheren Leben war D'murr dem jungen Leto im Großen Palais vorgestellt worden. Navigatoren schnappten immer wieder Neuigkeiten aus dem Imperium auf und konnten alles mithören, was über die Kommunikationskanäle ausgetauscht wurde, aber sie schenkten diesen trivialen Angelegenheiten nur wenig Beachtung. Dieser Herzog hatte ein Verwirkungsverfahren überstanden, und das gesamte Imperium zollte ihm wegen dieses kühnen Unternehmens Respekt.
Warum war Herzog Leto nach Wallach IX geflogen? Und warum hatte er den Verbannten von Ix mitgenommen?
Wieder meldete sich die ferne, verrauschte Stimme: »D'murr ... antworte mir ...«
Mit plötzlicher Klarheit erkannte er, dass es eine Manifestation aus seinem früheren Leben war. Der gute und treue C'tair bemühte sich, den Kontakt zu ihm zu halten, obwohl D'murr seit Monaten nicht in der Lage gewesen war, ihm zu antworten. Vielleicht war es nur eine Verzerrung, die durch die kontinuierliche Evolution seines Gehirns verursacht wurde, eine Folge der Vergrößerung des Abgrunds zwischen ihm und seinem Bruder.
Die verkümmerten Stimmbänder eines Navigators konnten noch Worte formulieren, obwohl er den Mund hauptsächlich benötigte, um immer mehr Melange zu konsumieren. Die Bewusstseinserweiterung durch die Gewürztrance entfernte D'murr immer weiter von seiner früheren Existenz und allem, was dazugehört hatte. Zur Liebe war er nicht mehr fähig, sie war nur noch eine vage Erinnerung. Er konnte nie wieder ein menschliches Wesen berühren ...
Mit einer stummeligen Schwimmflossenhand nahm er eine Pille mit konzentrierter Melange aus einem Behälter und schob sie sich in den kleinen Mund. Doch auch die zusätzliche Gewürzdosis konnte die Schmerzen der Vergangenheit und des mentalen Kontakts nicht betäuben. Diesmal waren seine Gefühle zu stark und zu überwältigend.
Schließlich hörte sein Bruder auf, ihn zu rufen, aber er würde es bald erneut versuchen. Er versuchte es immer wieder.
Jetzt hörte D'murr nur noch das stetige Zischen, mit dem das Gas in seine Kammer gepumpt wurde. Melange, Melange. Sie durchströmte ihn und überschwemmte seine Sinne. Er besaß kaum noch eine individuelle Persönlichkeit und konnte es nicht mehr ertragen, mit seinem Bruder zu sprechen.
Er konnte nur zuhören und sich erinnern ...